Die Swiss Sports Nutrition Society fördert, verbreitet und unterstützt die wissenschaftlich fundierte Sporternährung, welche auf den allgemeinen Ernährungsempfehlungen für Erwachsene aufbaut.  Die Swiss Sports Nutrition Society distanziert sich mit diesem Positionspapier von den aktuellen Schweizer Ernährungsempfehlungen für Erwachsene und ihrem zugrunde liegenden Hintergrundbericht, da beide wissenschaftliche Mängel aufweisen.

Die aktuellen Schweizer Ernährungsempfehlungen für Erwachsene stammen von der Schweizer Bundesverwaltung und werden seit September 2024 von der Schweizer Gesellschaft für Ernährung in Form einer aktualisierten Lebensmittelpyramide verbreitet. Gemäss des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sind diese Ernährungsempfehlungen das Ergebnis einer auf wissenschaftlicher Basis durchgeführten Aktualisierung der früheren Empfehlungen.

Der «wissenschaftlicher Hintergrundbericht», auf der die Aktualisierung der Empfehlungen basiert, weist erhebliche wissenschaftliche Mängel auf und ignoriert wesentliche Erkenntnisse der Forschung der letzten 30 bis 40 Jahren. Die Swiss Sports Nutrition Society distanziert sich deshalb sowohl vom Hintergrundbericht wie auch von den davon abgeleiteten Ernährungsempfehlungen. Eine Auswahl an Gründen, die aber die Distanzierung bereits rechtfertigen, ist nachfolgend beschrieben.

im Februar 2025

Die aktualisierten Ernährungsempfehlungen sollen laut BLV neu auch die Gesundheit fördern 1. Der «wissenschaftliche Hintergrundbericht» berücksichtigte aber nur Publikationen der Jahre 2018 bis 2021, was wissenschaftlich gesehen weder sinnvoll noch nachvollziehbar ist und der üblichen wissenschaftlichen Praxis bei der Sichtung der Forschungsliteratur widerspricht. Der Bericht fokussiert zudem nur auf den Zusammenhang zwischen dem Konsum von Lebensmitteln und den nicht-übertragbaren Krankheiten. Dies widerspricht den Prinzipien der Gesundheitsförderung und der allgemein anerkannten Definition der Gesundheit, die seit 1946 in der WHO-Verfassung verankert ist: «Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen» 2. Kombiniert mit dem Ignorieren grundlegender physiologischer Aspekte, die für die Erhaltung der Gesundheit und des Wohlbefindens fundamental sind und in den letzten rund 30 bis 40 Jahren entdeckt und etabliert wurden (zum Beispiel das Protein Leverage 3), verpassen daher die Schweizer Ernährungsempfehlungen ihr Ziel der Gesundheitsförderung.

Die Herleitung der Schweizer Ernährungsempfehlungen widerspricht zudem auch einem wesentlichen Aspekt der Richtlinien zur Herleitung von Ernährungsempfehlungen der European Food Safety Authority (EFSA). Die EFSA hält fest, dass bei der Herleitung der Empfehlungen alle verfügbare Evidenz genutzt werden muss (also unter anderem keine zeitliche Einschränkung bei der berücksichtigten Forschungsliteratur und keine Beschränkung auf dem Zusammenhang zwischen Ernährung und Erkrankungen) 4.

Die Schweizer Ernährungsempfehlungen richten sich gemäss Informationen zur Lebensmittelpyramide an «gesunde Erwachsene im Alter von 18 bis 65 Jahren mit einer moderaten körperlichen Aktivität von 30 Minuten pro Tag» 5. Dies entspricht gemäss BLV-internen Angaben einem Physical Acitivity Level (PAL) von 1,6 6.

In der Schweiz gelten laut dem Monitoring zum Bewegungsverhalten des Bundesamtes für Gesundheit rund 30 Prozent der Bevölkerung ab einem Alter von 18 Jahren als trainiert, weitere 52 Prozent sind unregelmässig, teil- oder inaktiv 7. Sie alle weisen einen PAL-Wert von entweder höher oder tiefer als 1,6 auf und daher gelten für sie grundsätzlich andere Ernährungsempfehlungen als für regelmässig körperlich Aktive. Diese 82 Prozent der Erwachsenen entsprechen somit nicht der Zielgruppe der Schweizer Ernährungsempfehlungen für Erwachsene. Nirgendwo im Kontext der Schweizer Ernährungsempfehlungen findet sich aber der Hinweis, dass diese Empfehlungen grundsätzlich für nicht einmal 20 Prozent der Erwachsenen in der Schweiz gelten.

Ein wesentlicher wissenschaftlicher Fortschritt der letzten Jahrzehnte ist die fundamentale Änderung in der Beurteilung der Ernährung. Bis zu den 1980er-Jahren lag der Fokus auf der reduktionistischen Beurteilung einzelner Nährstoffe, die mit der Ernährung konsumiert wurden 8. Dieser Ansatz entpuppte sich aber als trügerisch und kann bis heute den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit nicht zufriedenstellend erklären. Seit den letzten rund 20 Jahren erfolgt deswegen die wissenschaftliche Beurteilung der Ernährung primär über Ernährungsweisen als Ganzes. Eine solche Beurteilung fand aber weder im Hintergrundbericht noch bei der darauf basierenden Entwicklung der konkreten Ernährungsempfehlungen statt.

Ein wesentliches Problem der früheren Schweizer Ernährungsempfehlungen war ihre zu hohe glykämische Last. Der «wissenschaftliche Hintergrundbericht» widmete sich trotz eines nachweislichen negativen Zusammenhangs zwischen einer hohen glykämischen Last und den nicht-übertragbaren Erkrankungen nicht der glykämischen Last. Entsprechend resultiert aus den aktualisierten Empfehlungen immer noch eine zu hohe glykämische Last von rund 90 bis 130 g/d. Im Vergleich zu einer sinnvolleren glykämischen Last von um die 50 bis 70 g/d muss man daher von einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie für Diabetes ausgehen 9,10.

Bei den Empfehlungen zu den Milchprodukten, die von drei auf zwei bis drei Portionen pro Tag reduziert wurden, steht neu ein Hinweis zur Gleichwertigkeit des Proteins von Sojadrink und Kuhmilch. Diese Angabe ist falsch und irreführend. Kuhmilch weist bereits ohne Berücksichtigung der Wirkung auf die Proteinsynthese im Körper eine rund 45 Prozent höhere Proteinqualität auf als Soja (DIAAS 145 vs. 100) 11–13. Bei Berücksichtigung des Nährwerts der Proteine, also die Wirkung auf die Proteinsynthese inkludierend, wird der Qualitätsunterschied zwischen Soja und anderen (tierischen) Proteinen grundsätzlich noch grösser (z. B. Molken- vs. Sojaprotein rund dreimal höhere Wirkung bezüglich der fettfreien Körpermasse 14). Zudem liefert Sojadrink praktisch kein bioverfügbares Kalzium. Es sind 22 Portionen Sojadrink notwendig, um eine äquivalente Menge an bioverfügbarem Kalzium zu erzielen wie in einer Portion Magermilch 15.

Die aktualisierten Schweizer Ernährungsempfehlungen empfehlen erheblich weniger Fleisch als zuvor. Die ursprünglichen 2-3 Portionen à 100-120 Gramm pro Woche (=2,5 x 110 = 275 Gramm/Woche respektive 39 Gramm/Tag) wurden auf 1,4 Portionen pro Woche gesenkt («Täglich eine Portion an Hülsenfrüchten, Tofu, Eiern, Fleisch oder Fisch»). Die 1,4 Portionen à 100-120 Gramm pro Woche ergeben mit 22 Gramm pro Tag eine Reduktion um 44 Prozent im Vergleich zur früheren Empfehlung. Die 22 Gramm pro Tag gelten für alles Fleisch, das sich aus rotem Fleisch, Fleischwaren und Geflügel zusammensetzt. Daraus ergibt sich eine Empfehlung von je etwa 7 Gramm rotes Fleisch, Fleischwaren oder Geflügel pro Tag.

Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz, aus der sich ein derart minimaler Fleischkonsum herleiten liesse. So geben zum Beispiel selbst die aktuellen konservativen Empfehlungen des World Cancer Research Fund & American Institute for Cancer Research beim roten Fleisch eine 7- bis 10-fach höhere Menge von «nicht mehr als 50 bis 70 Gramm pro Tag» als Obergrenze an 16. Auch die aktuelle Meta-Analyse an rund 1,8 Millionen Teilnehmenden aus 23 Kohortenstudien zum Konsum von rotem Fleisch und dem Auftreten von Kolorektalkrebs, der häufigste Grund für Empfehlungen eines minimalen Fleischkonsums, zeigt bis zu einer Menge von 56 Gramm pro Tag keinerlei Risikoerhöhung 17. Bei den Fleischwaren liegt die Menge ohne Risikoerhöhung gemäss aktueller Meta-Analyse an rund 2,7 Millionen Teilnehmenden aus 29 Kohortenstudien bei 20 Gramm Fleischwaren pro Tag 17. Bei höheren Mengen steigt das Risiko aber nur sehr gering an und es fehlt zudem bis heute die Evidenz zu einem klaren biologischen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Fleisch oder Fleischwaren und Krebs oder anderen Erkrankungen.

In den aktualisierten Schweizer Ernährungsempfehlungen erfolgte eine Reduktion der empfohlenen Portionen bei den Milchprodukten (von drei auf zwei bis drei Portionen pro Tag) und beim Fleisch (von 39 auf 22 Gramm pro Tag). Da pflanzliche Proteine bereits ohne Berücksichtigung ihres Nährwerts eine generell geringere Qualität aufweisen 11 und der Konsum an Proteinen in der Schweiz bereits vor 10 Jahren bei mehr als 25 Prozent der Erwachsenen unzureichend war (geringer als 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag) 18, muss die Empfehlung zur Reduktion tierischer Proteinquellen als wissenschaftlich unhaltbar eingestuft werden. Bei einem stärkeren Fokus auf pflanzliche Proteinquellen zu Lasten von tierischen Proteinquellen muss man von einer steigenden Gefahr für ein grösseres Ausmass einer unzureichenden Proteinversorgung ausgehen.

Die Umweltbelastung durch die verschiedenen Lebensmittel wurde im Hintergrundbericht pro 100 Gramm oder 100 kcal Lebensmittel geschätzt. Die Beurteilung einer Ernährungsweise muss aber zwingend über die Menge an physiologisch wirksamen Nährstoffen, also dem Nährwert der Nährstoffe erfolgen. Die gewählte Metrik von «pro 100 Gramm» oder «pro 100 kcal» Lebensmittel ignoriert aber der Nährwert vollständig und führt deshalb zu einer irreführenden Beurteilung der Umweltbelastung der Lebensmittel. So sind zum Beispiel bei diversen pflanzlichen Lebensmitteln der Verbrauch an Frischwasser wie auch die Emissionen der Treibhausgase höher als beim Fleisch, wenn der Nährwert der Proteine berücksichtigt wird 19.

  1. BLV. Schweizer Ernährungsempfehlungen. 2024. https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/ernaehrung/empfehlungen-informationen/schweizer-ernaehrungsempfehlungen.html. Zugriff: 19.12.2024.
  2. World Health Organization. Constitution of the World Health Organization. New York, 1946. http://whqlibdoc.who.int/hist/official_records/constitution.pdf.
  3. Raubenheimer D, Simpson SJ. Protein leverage: Theoretical foundations and ten points of clarification. Obesity. 2019; 27:1225–38; doi:10.1002/oby.22531.
  4. Scientific Opinion on principles for deriving and applying Dietary Reference Values. EFSA Journal. 2010; 8; doi:10.2903/j.efsa.2010.1458.
  5. SGE, BLV. Schweizer Ernährungsempfehlungen für Erwachsene. Langversion. 2024. https://www.sge-ssn.ch. Zugriff: 11.9.2024.
  6. BLV. Aktualisierung der Schweizer Ernährungsempfehlungen: Argumentarium, 2024. Bern.
  7. BAG. Bewegungsverhalten (Alter: 18+). 2022. https://ind.obsan.admin.ch/indicator/monam/bewegungsverhalten-alter-15. Zugriff: 13.1.2024.
  8. Mozaffarian D, Rosenberg I, Uauy R. History of modern nutrition science-implications for current research, dietary guidelines, and food policy. BMJ. 2018; 361:k2392; doi:10.1136/bmj.k2392.
  9. Livesey G, Livesey H. Coronary heart disease and dietary carbohydrate, glycemic index, and glycemic load: Dose-response meta-analyses of prospective cohort studies. Mayo Clin.Proc. 2019; 3:52–69; doi:10.1016/j.mayocpiqo.2018.12.007.
  10. Livesey G, Taylor R, Livesey HF, Buyken AE, Jenkins DJA, Augustin LSA, Sievenpiper JL, Barclay AW, Liu S, Wolever TMS, Willett WC, Brighenti F, Salas-Salvadó J, Björck I, Rizkalla SW, Riccardi G, La Vecchia C, Ceriello A, Trichopoulou A, Poli A, Astrup A, Kendall CWC, Ha M-A, Baer-Sinnott S, Brand-Miller JC. Dietary glycemic index and load and the risk of type 2 diabetes: A systematic review and updated meta-analyses of prospective cohort studies. Nutrients. 2019; 11:1280; doi:10.3390/nu11061280.
  11. Herreman L, Nommensen P, Pennings B, Laus MC. Comprehensive overview of the quality of plant and animal-sourced proteins based on the digestible indispensable amino acid score. Food Sci.Nutr. 2020; 8:5379–91; doi:10.1002/fsn3.1809.
  12. Walther B, Guggisberg D, Badertscher R, Egger L, Portmann R, Dubois S, Haldimann M, Kopf-Bolanz K, Rhyn P, Zoller O, Veraguth R, Rezzi S. Comparison of nutritional composition between plant-based drinks and cow’s milk. Front.Nutr. 2022; 9; doi:10.3389/fnut.2022.988707.
  13. Fanelli NS, Bailey HM, Guardiola LV, Stein HH. Values for digestible indispensable amino acid score (DIAAS) determined in pigs are greater for milk than for breakfast cereals, but DIAAS values for individual ingredients are additive in combined meals. J.Nutr. 2021; 151:540–7; doi:10.1093/jn/nxaa398.
  14. Piri Damaghi M, Mirzababaei A, Moradi S, Daneshzad E, Tavakoli A, Clark CCT, Mirzaei K. Comparison of the effect of soya protein and whey protein on body composition: a meta-analysis of randomised clinical trials. Br.J.Nutr. 2022; 127:885–95; doi:10.1017/S0007114521001550.
  15. Muleya M, F Bailey E, H Bailey E. A comparison of the bioaccessible calcium supplies of various plant-based products relative to bovine milk. Food Res.Int. 2024; 175:113795; doi:10.1016/j.foodres.2023.113795.
  16. World Cancer Research Fund, American Institute of Cancer Research. Continuous Update Project Expert Report 2018. Diet, nutrition, physical activity and colorectal cancer. 2018.
  17. Pouzou JG, Zagmutt FJ. Observational dose response meta-analysis methods may bias risk estimates at low consumption levels: The case of meat and colorectal cancer. Adv.Nutr. 2024:100214; doi:10.1016/j.advnut.2024.100214.
  18. Kopf-Bolanz K, Walther B. Proteinkonsum in der Schweiz – Auswertung des menuCH Datensatzes. Schweizer Ernährungsbulletin. 2021:130–46; doi:10.24444/blv-2021-0111.
  19. Moughan PJ. Population protein intakes and food sustainability indices: The metrics matter. Global Food Security. 2021; 29:100548; doi:10.1016/j.gfs.2021.100548.